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30.04.2024

Ausschlussfristen – was hat sich der Gesetzgeber gedacht?

Der Fall:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung einer Anliegerstraße.

Im Jahr 2020 ließ die Beklagte Straßenbaumaßnahmen durchführen, mit denen ihrer Meinung Erschließungsanlage erstmalig endgültig hergestellt wurde. Mit Bescheid vom 15. März 2021 zog sie die Klägerin auf der Grundlage ihrer Erschließungsbeitragssatzung (EBS) vom 29. März 1988 zu einem Erschließungsbeitrag unter Anrechnung einer bereits beglichenen Vorausleistung heran.

Die Klägerin hat gegen den Beitragsbescheid am 22. März 2021 Klage erhoben und sich sowohl dem Grunde wie auch der Höhe nach gegen die Beitragserhebung gewendet. Sie trug insbesondere vor: Eine Erschließungsbeitragspflicht scheide schon deshalb aus, weil die Anlage spätestens mit der Errichtung der Straßenbeleuchtung im Jahr 1984 als Erschließungsanlage endgültig hergestellt worden sei. Hinzu komme, dass sie zum Stichtag 1. April 2021 noch nicht erstmalig technisch hergestellt sei. Denn der für die Randstreifen vorgesehene Schotterrasen sei bislang nicht eingebracht. Zudem sei der bebauungsplanersetzende Abwägungsbeschluss vom Gemeinderat erst verspätet am 20. April 2021 gefasst worden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 1. September 2021 die Klage abgewiesen.

Die obergerichtliche Entscheidung (in Auszügen):

Der BayVGH befasst sich in seiner Entscheidung mit verschiedenen Rechtsproblemen, die bei der Abrechnung einer Erschließungsanlage auftreten können. So führt er beispielsweise zu Fragen der Heilung von Abrechnungsfehlern, zum Anlagenbegriff, zur Verjährung und zu den Ausschlussfristen aus.

Der BayVGH stellt klar, dass eine endgültige Herstellung nur dann gegeben ist, wenn die Anlage den satzungsrechtlichen Merkmalsregelungen entspricht; andernfalls liegt nur ein Provisorium vor. Ohne Entstehen der Beitragspflicht und ohne Vorteilslage laufen weder die Verjährungs- noch die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Tiret 1 KAG an:

„Sie stellte jedenfalls bis 2020 aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht schon wegen ihrer bautechnischen Ausgestaltung nur ein Provisorium dar, das der satzungsrechtlichen Merkmalsregelung (vgl. § 132 Nr. 4 BauGB) nicht entsprochen hat und deshalb nicht endgültig hergestellt war (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Jedenfalls fehlte bis 2020 eine Straßenentwässerung, wie sie von sämtlichen seit den 1970er Jahren geltenden Erschließungsbeitragssatzungen, etwa derjenigen vom 4. April 1968 gemäß ihrem § 7 Nr. 2, als Merkmal der endgültigen Herstellung verlangt wurde (und wird). Nach ständiger Rechtsprechung ist von einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung im Sinn der Satzungsbestimmung nur dann auszugehen, wenn – unabhängig von der Einhaltung bestimmter technischer Regelwerke – eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Straßenentwässerung vorhanden ist (etwa BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 14; B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.845 – Rn. 10). Das bedeutet, dass diese Teileinrichtung grundsätzlich durchgehend auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden sein muss. Daran fehlte es. Wie das Verwaltungsgericht in der Sache ohne Widerspruch festgestellt hat, verfügte die B2. straße bis 2020 über keinerlei Straßenentwässerung. Es gab, wie die bei den Akten befindlichen Fotos der „alten“ Straße belegen, keinerlei baulichen Vorkehrungen zur gezielten Ableitung und etwa Versickerung des Oberflächenwassers. Dieses floss vielmehr unkontrolliert zur Seite weg.

Mangels Straßenentwässerung kann vor 2020 auch keine Vorteilslage eingetreten sein, auf deren Abgeltung die Erschließungsbeiträge gerichtet sind und mit deren Eintritt die 20-Jahre-Frist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG für die Beitragserhebung ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld beginnt. Denn die Vorteilslage tritt nach ständiger Rechtsprechung bei einer Anbaustraße (erst) dann ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (BayVGH, B.v. 28.4.2022 – 6 ZB 21.2951 – juris Rn. 15 m.w.N.), hier also insbesondere auch über eine Straßenentwässerungseinrichtung verfügt.“

Auch die Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, die ab Beginn der erstmaligen technischen Herstellung zu laufen beginnt, war im konkreten Fall noch nicht abgelaufen. Der BayVGH legte den Gesetzeswortlaut aus, um anhand des Gesetzgeberwillens zu ermitteln, was dieser mit dem „Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage“ meint:

„Nach dieser Vorschrift kann kein Erschließungsbeitrag erhoben werden, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind. Bei ihrer Auslegung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht nur vom Beginn der erstmaligen technischen Herstellung spricht, sondern diese ausdrücklich auf eine Erschließungsanlage bezieht, mithin auf den Anfang des durch zentrale erschließungsbeitragsrechtliche Begriffe umschriebenen Vorgangs der „erstmaligen Herstellung“ (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) einer beitragsfähigen „Erschließungsanlage“ (§ 127 Abs. 2 BauGB) abstellt. Demnach wird der fristauslösende Beginn nicht durch irgendwelche sichtbaren Bauarbeiten markiert, sondern nur durch solche, die objektiv auf die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage gerichtet sind. So können Bauarbeiten an einer beidseitig durch den Außenbereich verlaufenden Straße in aller Regel nicht die 25-Jahres-Frist auslösen, weil eine solche Straße mangels Bestimmung zum Anbau keine Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist, auch wenn an ihr einzelne Häuser liegen (BayVGH, B.v. 28.3.2023 – 6 CS 23.272 – Rn. 21). Gemeint ist vielmehr der Beginn des sichtbaren technischen Ausbaus („erster Spatenstich), an dessen Ende die jeweilige Erschließungsanlage in der gesamten vorgesehenen Ausdehnung mit sämtlichen vorgesehenen Teileinrichtungen erstmalig hergestellt ist (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand April 2023, Rn. 1101a). Die Frage nach dem Beginn kann ebenso wie diejenige nach dem Ende der erstmaligen technischen Herstellung allein danach beurteilt werden, welche Planung die Gemeinde als Trägerin der Erschließungsaufgabe (§ 123 Abs. 1 BauGB) verfolgt. Maßgeblich sind daher neben dem Teileinrichtungs- und dem technischen Ausbauprogramm in der Erschließungsbeitragssatzung insbesondere das auf die konkrete Anlage bezogene Bauprogramm, das von der Gemeinde auch formlos aufgestellt werden kann und in der Regel wird (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 5 Rn. 15 ff. und § 8 Rn. 24).

Mit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Anbaustraße ist also die erste sichtbare Baumaßnahme gemeint, mit der das gemeindliche Bauprogramm für eine bestimmte Anbaustraße (Teilstrecke) verwirklicht werden soll. Daran fehlt es etwa, wenn die Gemeinde lediglich ein Provisorium anlegen will, also nur irgendeine Verkehrsanlage, um für anliegende Grundstücke eine Bebauung zu ermöglichen oder um eine Verbindung zwischen zwei Straßen herzustellen. Um den Beginn der technischen Herstellung einer Erschließungsanlage handelt es sich auch nicht, wenn die Gemeinde lediglich beabsichtigt, eine Teileinrichtung wie etwa die Fahrbahn technisch herzustellen, ihre Planung also die übrigen Teileinrichtungen nicht einschließt (vgl. Driehaus, KStZ 2022, 102/105).“

Insoweit ist das gefundene Ergebnis deckungsgleich mit den Handreichungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration „Erläuterungen zum Vollzug des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8. März 2016 (GVBl. S. 36) IMS vom 12.07.2016“. Dort heißt es:

„Insbesondere Straßen können im Laufe ihres „Lebens“ einen Funktionswandel durchlaufen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1968 – IV C 94.67; Urt. v. 31.01.1969 – IV C 47.67). Für den Fristlauf kommt es auf den Beginn der erstmaligen technischen Herstellung als „Erschließungsanlage“ und damit als Anlage mit Erschließungsfunktion an; ein wie auch immer gearteter Beginn der technischen Herstellung etwa als Gemeindeverbindungsstraße, als ursprünglich im Außenbereich verlaufende klassifizierte Straße oder als Straße oder Weg ohne Anbaufunktion hat für den Beginn der Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG keine Bedeutung.“ (S. 13)

„Der Beginn der erstmaligen technischen Herstellung muss auf die Herstellung einer Erschließungsanlage gerichtet sein. Damit haben reine Vorbereitungshandlungen (etwa die Einrichtung der Baustelle) oder gar vorgelagertes Verwaltungshandeln (verwaltungsinterne Entscheidungen über den genauen Beginn der Ausführung der Maßnahmen) außer Betracht zu bleiben. In den Blick zu nehmen sind stattdessen alle technischen Herstellungshandlungen (auch in Bezug auf Teileinrichtungen), die dazu geeignet sind, zur (zielgerichteten) erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage beizutragen, die also auch Inhalt eines Bauprogramms sein könnten.“ (S. 16 f.)

Unsere Hinweise:

Die vorgestellte Entscheidung befasst sich im Schwerpunkt mit Fragen des Fristlaufs von Verjährungs- und Ausschlussfristen.

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie ab der Rdnr. 1139 weitere Hinweise zu Verjährungs- und Ausschlusstatbeständen und in Rdnr. 1101a zur Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG.


Unsere Tipps für die Praxis:

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