Ist eine Widmung nach technischer Durchführung der Straßenbaumaßnahme ausreichend?
Der Fall:
Die Klägerin, eine Stadt, setzte gegenüber dem Beigeladenen einen Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung der über einen Regenwasserkanal erfolgenden Straßenentwässerung fest. Die Erneuerungsarbeiten an dem K.-platz waren in den Jahren 2004 bis 2006 im Zusammenhang mit der Kanalsanierung in mehreren Ortsteilen durchgeführt worden. Da Zweifel auftraten, ob der K.-platz bei Anlegung des Bestandsverzeichnisses von der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der damals selbstständigen Gemeinde W., wirksam eingetragen worden war, wurde die abgerechnete Straße durch Beschluss des Stadtrats vom 15. September 2011, bekannt gemacht am 5. März 2012, nachträglich als Ortsstraße gewidmet. Die Stadt hat gegen den Widerspruchsbescheid, mit dem der Bescheid aufgehoben wurde, Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der stattgebende Widerspruchsbescheid sei rechtmäßig. Die Widmung der Straße nach Abschluss der Ausbaumaßnahme sei nicht geeignet, nachträglich eine Ausbaubeitragspflicht zu begründen. Im Straßenausbaubeitragsrecht sei die Widmung der Verbesserung oder Erneuerung vorgeschaltet. Nur der Ausbau bereits gewidmeter und damit öffentlicher Straßen sei beitragsfähig.
Das Obergericht hat der Berufung stattgegeben und den Straßenausbaubeitragsbescheid der Stadt als rechtmäßig erachtet.
Die obergerichtliche Entscheidung:
1. Die Sanierung der Straßenentwässerung stellt Teilerneuerung einer Ortsstraße dar.
Bei der Sanierung der Straßenentwässerung am sogenannten K.-platz – handelt es sich um die (Teil-) Erneuerung einer Ortsstraße, für die die Klägerin auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG und ihrer Ausbaubeitragssatzung Straßenausbaubeiträge erheben darf. Dem steht nicht entgegen, dass der K.-platz erst nach Durchführung der Baumaßnahme wirksam als Ortsstraße gewidmet worden ist.
Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG (nunmehr geltend in der Fassung vom 8.3.2016, GVBl S. 36) können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Gemäß § 1 ihrer Ausbaubeitragssatzung (ABS) vom 15. Juli 2003 i.d.F. vom 31. Oktober 2008 erhebt die Klägerin zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erweiterung der in § 5 Abs. 1 ABS genannten, in ihrer Baulast stehenden öffentlichen Einrichtungen Beiträge nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes und dieser Satzung, soweit nicht Erschließungsbeiträge zu erheben sind. In § 5 Abs. 1 Nr. 1 ABS wird der Begriff „Ortsstraßen (Art. 46 BayStrWG)“ verwandt.
Der Ortsgesetzgeber knüpft damit, ebenso wie der Gesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG, an die Regelungen des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes an. Der beitragsrechtliche Begriff „Ortsstraßen“ folgt dem straßenrechtlichen, in Art. 46 Nr. 2 BayStrWG definierten Begriff. Danach sind Ortsstraßen Straßen, die dem Verkehr innerhalb der geschlossenen Ortslage oder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans im Sinne des BauGB dienen mit Ausnahme der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen, Staatsstraßen und Kreisstraßen (BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 7).
2. Eine öffentliche Straße setzt entweder Eintragung in das Straßenbestandsverzeichnis oder Widmung voraus
Dementsprechend setzt der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG verwendete Begriff „öffentlich“ bei einer Ortsstraße entweder eine Eintragung im Straßenbestandsverzeichnis (Art. 67 Abs. 3 BayStrWG) oder eine Widmung nach Art. 6 BayStrWG voraus (vgl. Art. 1 BayStrWG). Die sachlichen Beitragspflichten können erst entstehen, wenn eine der beiden – straßenrechtlichen – Voraussetzungen erfüllt ist (BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 8; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 31 Rn. 3).
Nach Art. 67 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BayStrWG sind die Bestandsverzeichnisse von den Straßenbaubehörden innerhalb von drei Jahren seit Inkrafttreten des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes am 1. September 1958 (Art. 80 BayStrWG) anzulegen. Sie sind nach Anlegung sechs Monate lang in den Gemeinden zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Die Straßenbaubehörden haben den Lauf dieser Frist vorher öffentlich bekannt zu machen. Nach Art. 67 Abs. 5 BayStrWG gilt eine Straße, die nicht im Bestandsverzeichnis aufgenommen worden ist, nicht als öffentliche Straße. Nach dieser sogenannten negativen Publizität des Art. 67 Abs. 5 BayStrWG wird unwiderleglich vermutet, dass keine öffentliche Straße vorliegt, wenn ein Grundstück bei der erstmaligen Anlegung des Bestandsverzeichnisses nicht als kommunale Straße eingetragen worden ist. Die negative Fiktion gilt selbst dann, wenn die Straße tatsächlich ununterbrochen für den örtlichen Verkehr in Anspruch genommen worden ist (BayVGH, B.v. 7.7.2010 – 8 ZB 09.3196 juris Rn. 8; Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 67 Rn. 4). Dies kommt auch in den Fällen zum Tragen, in denen die Gemeinde zwar die Straße in das Bestandsverzeichnis aufgenommen hat, nicht aber die räumliche Erstreckung der Straße auf ein bestimmtes Grundstück oder einen bestimmten Grundstücksteil (vgl. Häußler, a.a.O., Art. 67 Rn. 46). Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG erhält eine Straße – außer durch die oben genannte Eintragung in das Bestandsverzeichnis – auch durch die Widmung die Eigenschaft einer öffentlichen Straße (BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 8).
3. Eine Widmung nach technischer Durchführung der Straßenbaumaßnahme ist ausreichend.
Der K.-platz stellt zwar – zwischen den Beteiligten insoweit nicht umstritten – eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinn des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (bis 31.3.2016: § 242 Abs. 1 BauGB) dar, die seit unvordenklicher Zeit im Wesentlichen in der heute noch bestehenden Gestalt angelegt ist, tatsächlich für den öffentlichen Innerortsverkehr genutzt wird und für die die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin (die bis zum 31.12.1976 selbstständige Gemeinde W.) seit langem die Straßenbaulast übernommen hat. Bei Anlegung des Straßen- und Bestandsverzeichnisses war der K.-platz dennoch nicht wirksam aufgenommen worden. Es dürfte schon an einer entsprechenden Eintragung gefehlt haben. Denn auf den in den Akten befindlichen alten Übersichtslageplänen ist der fragliche Bereich um die Kirche nicht farblich angelegt. Das Bestandsverzeichnis für die als „K.-straße FlNr. 38“ mit der laufenden Nr. 7b bezeichnete Ortsstraße betrifft nach dem farblich markierten Übersichtslageplan einen weiter südöstlich gelegenen Straßenbereich. Im Übrigen gibt es, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, keine Anhaltspunkte dafür, dass die damaligen Bestandsverzeichnisse entsprechend Art. 67 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BayStrWG zur öffentlichen Einsicht aufgelegt worden waren und die Klägerin oder deren Rechtsvorgängerin den Lauf dieser Frist vorher öffentlich bekannt gemacht hatte. Selbst wenn die damalige Gemeinde W. den K.-platz vor dem Inkrafttreten des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes am 1. September 1958 konkludent als öffentlichen Weg gewidmet haben sollte, wäre diese Widmung demnach erloschen, weil der K.-platz nicht wirksam in das Bestandsverzeichnis eingetragen worden war (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2010 – 8 ZB 09.3196 – juris Rn. 8).
Wirksam als Ortsstraße gewidmet wurde der K.-platz erst mit Verfügung und Bekanntmachung vom 5. März 2012. Im aktuellen Bestandsverzeichnis wird er mit der Nr. 7 f geführt. Mithin hat der K.-platz seine Eigenschaft als Ortsstraße und öffentliche Einrichtung erst nach Durchführung der abgerechneten Straßenbaumaßnahmen erhalten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 BayStrWG).
4. Trotz der nachträglichen Widmung handelt es sich um eine beitragspflichtige Erneuerungsmaßnahme an einer Ortsstraße.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kommt es nicht auf die straßenrechtliche Qualifizierung im Zeitpunkt der technischen Durchführung der Straßenausbaumaßnahme an. Zwar kann Gegenstand einer beitragspflichtigen Erneuerungsmaßnahme nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in Verbindung mit der Ausbaubeitragssatzung nur eine Ortsstraße sein. Deshalb ist neben dem Abschluss der Erneuerungsmaßnahme und dem Vorhandensein einer wirksamen Beitragssatzung die entsprechende straßenrechtliche Widmung Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 17). Das Gesetz gibt jedoch – wie im Erschließungsbeitragsrecht (dazu Driehaus, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 133 Rn. 21 m.w.N.) – keine Reihenfolge vor, in welcher diese Voraussetzungen eintreten müssen, damit die Beitragspflichten entstehen können. Dementsprechend ist es grundsätzlich unerheblich, wenn eine Widmung erst längere Zeit nach dem Abschluss der Ausbauarbeiten mit der Folge vorgenommen wird, dass erst dann die Beitragspflichten entstehen und der Lauf der Verjährungsfrist beginnt. Das gilt auch, wenn sämtliche Voraussetzungen für die Widmung bereits jahrelang vorgelegen haben (vgl. NdsOVG, B.v. 21.5.2012 – 9 LB 100/10 – nicht veröffentlicht; Driehaus in ders. <Hrsg.>, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 487a). Das führt entgegen der Ansicht des Beigeladenen nicht zu einer unzulässigen Rückwirkung der straßenrechtlichen Widmung. Vielmehr wird die ursprünglich fehlende Widmung mit Wirkung für die Zukunft mit der Folge nachgeholt, dass die sachlichen Beitragspflichten mit dem Eintritt der letzten Voraussetzungen entstehen. Die Bestimmung des § 3 ABS steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift entsteht die Beitragsschuld mit dem Abschluss der Maßnahme (einschließlich des notwendigen Grunderwerbs). Eine Maßnahme ist abgeschlossen, wenn sie tatsächlich und rechtlich beendet und der Gesamtaufwand feststellbar ist (§ 3 Abs. 1 ABS). „Rechtlich beendet“ war die abgerechnete Erneuerungsmaßnahme aber erst – wie oben ausgeführt – mit der Bekanntmachung der Widmung vom 5. März 2012. Nach Art. 41 Abs. 4 Satz 4 VwVfG i.V.m. Nr. 4 der Verfügung und Bekanntmachung der Widmung gilt die Widmungsverfügung mit dem auf die Bekanntmachung folgenden Tag (6.3.2012) als bekannt gegeben und wird zu diesem Zeitpunkt wirksam.
5. Nachträgliche Widmung lässt dann keine Beitragspflichten entstehen, wenn Erneuerung oder Verbesserung abgeschlossen war, ohne dass Beitragstatbestände berührt waren.
Eine nachträgliche Widmung kann nur dann keine Beitragspflichten entstehen lassen, wenn der maßgebliche Sachverhalt (Erneuerung oder Verbesserung einer Straße) bereits abgeschlossen war, ohne dass Beitragstatbestände berührt wurden. Führt eine Gemeinde etwa an einer entsprechend gewidmeten Gemeindeverbindungsstraße (Art. 46 Nr. 1 BayStrWG) im Rahmen ihrer Straßenbaulast (Art. 47 Abs. 1 BayStrWG) – beitragsfreie – Erneuerungsmaßnahmen durch, kann sie nach Änderung der Verkehrsbedeutung und entsprechender Umstufung zur Ortsstraße diesen abgeschlossenen Sachverhalt beitragsrechtlich nicht rückwirkend als beitragspflichtige Erneuerung einer Ortsstraße umqualifizieren. Davon kann indes im vorliegenden Fall keine Rede sein. Denn die Klägerin wollte nach ihrem insoweit maßgeblichen Bauprogramm von Anfang an den K.-platz als vermeintliche – wenn auch nicht wirksam gewidmete – Ortsstraße im Rahmen der ihr obliegenden Straßenbaulast erneuern; dieser Sachverhalt ist erst abgeschlossen, wenn sämtliche Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflichten erfüllt sind.
Weiterleitende Hinweise:
Die Daten der obergerichtlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zur Widmung unter Rdnr. 2164d, zum beitragsfähigen Aufwand für den Regenwasserkanal unter Rdnrn. 192b, 2106.
Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.
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